Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die Geschichte der Kirchengemeinde Westrhauderfehn, der Fehntjer Juden und der Schulen im Zentrum von Rhauderfehn. Der Blick in die Geschichte der Kirchengemein(d)e zeigt, dass der Einfluss der Kirche weit über die religiöse Betreuung der Bevölkerung hinausging. Weil die Pastoren jeweils auch unterste Schulbehörde waren, wurde der Unterricht maßgeblich durch die Vorgaben der Kirche bestimmt.
Die Geschichte der Schulen, zu denen außer der "Schule I" (heute Sundermannschule), die Gewerbe-, die Privat-, die Navigations-, die Mittel- und die Berufsschule gehörten, ist zum Teil von den jeweiligen Hauptlehrern in der Schulchronik festgehalten worden. Oft richteten sie ihren Blick über die Schule hinaus auf kommunale Ereignisse.
Viele Jahrzehnte lebten jüdischen Mitbürger mitten unter der Fehntjer Bevölkerung. Sie waren teils geduldet, teils wegen ihres gesellschaftlichen Engagements anerkannt. Als sie verschwanden, wurde dies auf dem Fehn als normaler Umzug in einen neue Heimat eingeschätzt. Indem die abenteuerliche und gleichzeitig lebensbedrohliche Suche des späteren Rhauderfehner Bürgermeisters Erhard Borde nach seinen Geschwistern in den Nachkriegsmonaten und deren Suche nach einer neuen Heimat geschildert wird, bringt der Autor die Schrecken des Krieges, von Flucht und Vertreibung, in Erinnerung.
Auch in den Erinnerungen an die Zweirad-Geschäfte von Hinrich Junker und Ernst Möhlmann spielt der Krieg eine Rolle, ebenso wie in der Schilderung des Lebens des heute 93jährigen Dodo Duis, dessen Lebenslauf sich in Teilen liest wie die ostfriesische Variante der US-amerikanischen Erfolgsgeschichte "vom Tellerwäscher zum Millionär".
SoftcoverIn diesem Buch werden die Erinnerungen außergewöhnlicher Menschen wie die des späteren Bürgermeisters Erhard Borde sowie herausragender gesellschaftlicher Gruppen wie die jüdischen Mitbürger wiedergegeben.
Erhard Borde: Zu seinem zwei Jahre älteren Bruder hatte er ein inniges Verhältnis. Sie erzählten einander alles, was ihnen wichtig war.
Nachdem Felix Borde zum Kriegsdienst eingezogen worden war, schrieben sie sich, bis kurz vor seinem Tod, wenige Wochen vor Kriegsende. Seitdem hebt Erhard Borde die Briefe des Bruders auf, als seien sie ein Teil von ihm. Lesen kann er sie bis heute, 67 Jahre nach Kriegsende, nicht mehr. Der Zweite Weltkrieg hat millionenfaches Leid über die Menschen gebracht. Das Schicksal des Erhard Borde, früher Bürgermeister von Rhaudermoor und Rhauderfehn, steht gerade wegen seiner individuellen Besonderheiten stellvertretend für das Leid dieser Menschen.
Aus seinem Heimatort "Jamaika", 30 Kilometer jenseits der Oder im Warthebruch, war er nach Berlin gekommen, um im Luftwaffen-Gerätewerk zu arbeiten. "Eingezogen" wurde er nicht, weil er wegen einer Verletzung nicht kriegstauglich war. Abends besuchte er das Gymnasium, was ab 1942 immer schwieriger wurde, als der Bombenterror der britischen Luftwaffe gegen Berlin begann, den Borde in der Reichshauptstadt bis zum letzten Tag durchlitt.
"Ich war wütend auf die Engländer, weil sie nur Wohngebäude bombardierten und die Rüstungsbetriebe unbehelligt ließen", sagt er und vermutet, dass man damit den Widerstandswillen der Deutschen habe brechen wollen. "Die hatten keine Ahnung, davon, wie es in einer Diktatur zugeht", ergänzt er und fügt einen Beleg an.
Juden auf dem Fehn: Die antijüdische Agitation im hiesigen Raum hat spätestens 1898 begonnen. In jenem Jahr erschien im "LA" eine kleine Anzeige, mit der die "lieben jüdischen Mitbürger" aufgefordert wurden, der Veranstaltung des Hermann Ahlwardts fernzubleiben, der nur seine Taschen füllen wolle. Ahlwardt, der mit einem Mandat der "Deutschkonservativen Partei" im Reichstag war, war als antisemitischer Hetzer bekannt.
Während der Abgeordnete seine antijüdischen Tiraden in der Region lediglich in einigen wenigen Veranstaltungen verbreiten konnte, gilt der Borkumer Pastor Ludwig Münchmeyer als erster Dauer-Agitator in der Region. Gefolgt wurde er diesbezüglich von dem deutschchristlichen Pastor Heinrich Meyer aus Aurich, beide zeitlich Jahre vor der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten.
Dass diese Hetze vielfach auf fruchtbaren Boden fiel, mag teils daran liegen, dass es bequem ist, in einer schwierigen Situation einen "Buhmann" zu haben, dem man die Schuld für alles geben kann, was schief läuft. Zum anderen fiel die Agitation mit einem latenten, unbewusst gelebten Antisemitismus zusammen. Für jene, die sich nicht mit dem Judentum befasst haben, mögen die Weinbergs wegen der Eigenarten ihrer Religion Sonderlinge gewesen sein. Hannes Lücht nennt zwei Indizien, die ein Schlaglicht auf die Haltung der Fehntjer gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern werfen.
Der Antisemitismus scheint sich schleichend und eher unbewusst entwickelt zu haben, und zwar lange vor 1933. Wie selbstverständlich wurden Erdnüsse, die es auf dem Fehn vergleichsweise früh zu kaufen gab, "Jödennöten" (Judennüsse) genannt. Kinder, die genau hinsahen, erkannten an der Spitze der Nuss, dort, wo das Samenkorn sitzt, dass das Korn eine entfernte ähnlichkeit mit dem Bart eines Juden hatte. Dann hieß es schon einmal: "Da sitzt ein Jude drin." Ebenfalls vor der "Machtergreifung" war unter den Kindern folgender Spruch bekannt: "Sett en Jöd in't Deep, wenn he versuppt, ik help um net." Wenn es Lehrern in der Schule oder Eltern daheim zu laut zuging, gab es oft einen allgemein bekannten Ausspruch zu hören: "Dat geht dar her as in en Jödenschool".